Natascha Dell
Schrift in Lehre und Werk der Folkwangschule für Gestaltung - Die Entwicklung der Positionen von Schrift in der Lehre und den Werken der Schriftschaffenden der Folkwangschule für Gestaltung in den Jahren von 1929 bis heute, unter dem Einfluss von technischen Innovationen.
Fachbereich Design
Die Folkwangschule für Gestaltung wurde im Jahr 1911 als zentrale Ausbildungsstätte für Kunstgewerbe im montanindustriell geprägten Ruhrgebiet der 1910er-Jahre auf Betreiben von Dr. Hermann Muthesius (1861–1927) unter dem Namen Essener Handwerker- und Kunstgewerbeschule gegründet. Die noch heute praktizierte interdisziplinäre Ausrichtung der Kunsthochschule geht auf das künstlerisch-pädagogische Konzept des Namensgebers und Hagener Kunstmäzens Karl-Ernst Osthaus (1874–1921) zurück, das auf die Einheit der Künste und deren Verankerung in der Mitte der Gesellschaft abzielte.
Der Architekt Alfred Fischer (1881–1950), der 1911 von der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule als Direktor und Lehrer an die Schule berufen wurde, reformierte den Lehrbetrieb, indem er ein Akademiesystem ablehnte und stattdessen Fachabteilungen und Werkstattunterricht etablierte. Außerdem installierte er nach dem Vorbild des Bauhauses eine Vorklasse und ergänzte den Lehrkörper 1926/27 mit dem Bauhaus nahestehenden Persönlichkeiten[1].
Mit der Konstituierung der Folkwangschule für Gestaltung im Jahr 1928 wurde die Abteilung für Schrift und Plakat unter der Leitung von Wilhelm Poetter (1885–1945) eingerichtet, der bereits seit 1908 an den Vorläuferschulen unterrichtet hatte. Dem Bereich der Schrift schrieb Poetter eine Pionierrolle zu: »Schrift überall! Die Schrift der Ausdruck unserer Zeit! Hier Wegbereiter sein zu dürfen, ist vornehmlichstes und schönstes Ziel der Abteilung für Schrift und Plakat.«[2] Im gleichen Jahr wurden seine Arbeiten neben denen von Max Burchartz, Jan Tschichold und anderen in der Ausstellung Neue Typografie im Museum Folkwang in Essen gezeigt. Dieser im Jahr 1929 namentlich initiierte Schwerpunkt setzte sich inhaltlich, in verschiedensten Ausprägungen, Kontexten, Zielsetzungen und didaktischen Methoden, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts fort.
[1] Grete Willers (Abteilung für Stickerei und Weberei), Max Burchartz (Fachklasse für Werbegrafik und Fotografie) und Max Peiffer Watenphul (Vorklasse).
Anhand von Lehrplänen, der Lehre und der Werke der schriftschaffenden Lehrpersönlichkeiten sowie deren Schüler*innen kann die Entwicklung des Fachgebietes an der Folkwangschule nachvollzogen werden. Hermann Schardt (1912–1984), von 1948 bis 1972 Direktor der Folkwangschule, entwarf die Satzschrift Folkwang-Antiqua, welche in Zusammenarbeit mit der Schriftgießerei Gebr. Klingspor (Offenbach am Main) in den Jahren 1949 bis 1955 umgesetzt und ausgebaut wurde. Nach der Wiedereröffnung der Folkwang-Werkschulen für angewandte Kunst im Jahr 1948 fand ein Schriftunterricht in der Abendschule, in den Vorkursen (zwei Semester) sowie in verschiedenen Werkgruppen – insbesondere innerhalb der Werkgruppe Graphik unter der Leitung von Prof. Hans Nienheysen (1917–1996) – statt. Bereits 1954 existierte eine Fachklasse Schrift unter seiner Leitung.[3] 1958 wurde Schrift ebenfalls an der Abendschule, in zwei Vorsemestern sowie »[…] in allen Werkgruppen […]«[4] im Rahmen des gestalterisch-schöpferischen Unterrichtes gelehrt.[5] Bis zum Anfang der 1970er-Jahre bestand die Fachklasse Schrift fort.[6] Wilhelm Buck (1912–1981), der die Werkgruppe Graphik ab 1948 stellvertretend für Direktor Schardt leitete, unterrichtete die gebrochenen Schriften. Als ausgewiesener Schriftgestalter (Today Sans, 1988) führte der 1989 berufene Professor Volker Küster (*1941) die Tradition der Schriftgestaltung an der Universität Duisburg-Essen im Studiengang Kommunikationsdesign im Fach Grundlagen Schrift im Grundstudium und dem Entwurfsfach Schrift im Studienschwerpunkt Grafik im Hauptstudium fort. Nach seiner Emeritierung übernahm sein ehemaliger Schüler Karsten Lücke diesen im Verlaufsplan vorgeschriebenen Schriftunterricht in Lehraufträgen (2006/2007).
Neben den Lehrenden, die ihrerseits bereits Schüler der Folkwangschulen waren, gibt es mit Helmut Salden (1910–1996) und Georg Salden (*1930) zwei ehemalige Schüler, die sich durch ihre Leistungen auf dem Fachgebiet der Schrift besonders hervorgetan haben: Helmut Saldens Relevanz in den Niederlanden und sein Einfluss auf die niederländische Schriftgestaltung ist unbestritten. Georg Saldens Erfolg als Schriftgestalter hängt eng mit der Entwicklung des Lichtsatzes zusammen. Dieser ermöglichte ein neuartiges Geschäftsmodel, den GST-Kreis, für den Georg Salden im Laufe der Jahre hunderte Schriftgarnituren entwarf und umsetzte. Die bekannteste Schrift ist heute noch die GST-Polo (1971).
Die Forschungsfrage zielt auf das Verhältnis zweier historischer Darstellungen ab: die allgemeine technische Umgebung der Schriftproduktion bzw. Schriftanwendung und die Schrift in der Lehre und den Werken der Folkwangschule für Gestaltung. Untersucht wird; wie sich diese Positionen unter dem Einfluss der technischen Innovationen und weiterer soziokultureller und künstlerischen Faktoren entwickelt haben. Hierbei wird die Schrift explizit in Abgrenzung zur typografischen Anwendung behandelt werden.
[1] Grete Willers (Abteilung für Stickerei und Weberei), Max Burchartz (Fachklasse für Werbegrafik und Fotografie) und Max Peiffer Watenphul (Vorklasse)
[2] W. Poetter: Essener Allgemeine Zeitung, Sondernummer 1929
[3] U. Franke (1954). Meister und Schüler. Ein Gang durch westdeutsche Werkkunstschulen. In: Schrift + Handwerk. Fachzeitschrift für Aussenwerbung. Ausgabe 10/11, S. 452.
[4] H. Schardt (Hrsg.) (1958). Schrift 7. Folkwangschule für Gestaltung. Werkkunstschule der Stadt Essen,S. 38.
[5] S. Bartelsheim, G. Breuer & Ch.Oestereich (Hrsg.) (2012). Lehre und Lehrer an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen: von den Anfängen bis 1972. Tübingen, Berlin: Wasmuth, S. 425ff.
[6] H. Nienheysen & H. Schardt (Hrsg.) (1968). Folkwang Information 3: Werkstattbericht '68. Fachklasse für Schrift. Essen.
Betreuende:
Prof. Dr. Klaus Klemp
Prof. Dr. Petra Eisele