Dominik Gussmann

Die Poesie der Übersetzung. Eine Theorie zeitgenössischer Druckgrafik unter dem Aspekt der Bildübertragung​

Fachbereich Kunst

Etwa seit den 1960er Jahren lässt sich eine starke Erweiterung dessen feststellen, was als Original- oder Künstlergrafik bezeichnet wurde, und immer noch wird. Es ist die Zeit in der Künstler_innen, neben den klassischen druckgrafischen Techniken, beginnen industrielle Verfahren, wie den Sieb- und Offsetdruck, einzusetzen. Das geschah nicht etwa zum Zweck der Vervielfältigung, quasi unter dem Zeichen des Kunstdrucks, sondern im Hinblick auf die spezifischen Charakteristika jener drucktechnischen Verfahren, wie beispielsweise die Normativität maschineller Druckraster. Wie stellt sich diese Situation zum heutigen Tag dar? Mit dem Historisch-Werden eben jener industriellen Verfahren, ist auch deren Einsatz und Bedeutung auf dem Gebiet konzeptionell-künstlerischer Druckgrafik rückläufig.

Abseits jener Techniken etablierte sich allerdings eine Druckgrafik, welche ebenso den Anspruch sogenannter Künstler- oder Originalgrafik unterläuft. Derartige Künstlergrafik, wie sie im 20. Jahrhundert prominent vor allem von dem Kunsthistoriker Walter Koschatzky vertreten wurde, zeichnet sich dabei dadurch aus, dass nicht nur der vor der eigentlichen Herstellung des Druckstocks liegende Entwurf von der Hand des Grafikers stammen muss, sondern, dass dieser auch eigenhändig die Kupferplatte sticht, den Holzblock schneidet, die Radierplatte ätzt, und, im idealen Fall, auch selbst den eigentlichen Druckprozess ausführt. Diese orthodoxe Auffassung schließt damit aber auch die Erweiterung druckgrafischer Prozesse, beispielsweise durch digitale Bilderzeugung und photochemische Bildübertragung, aus. Diese Formen der erweiterten Druckgrafik, welche so nicht mehr unter dem klassischen Begriff der Künstlergrafik zu fassen sind, bilden den Gegenstand meiner Forschung.

Das verbindende Moment der dabei relevanten druckgrafischen Positionen, ist das, was ich als Poesie der Übersetzung bezeichne. Dabei meint Poesie hier, im eigentlichen Wortsinn verstanden, das schaffende Element, was sich überhaupt erst durch den Prozess der Übersetzung konstituiert, und hier angewandt ist auf visuelle Formen der Bildübertragung. Eine Analyse dieser unterschiedlichen Übersetzungsarten erfolgt dabei anhand verschiedener Positionen zeitgenössischer Druckgrafik, die auf ihre, dem jeweiligen druckgrafischen Medium inhärente Sprache hin, vergleichend untersucht werden sollen. Aktuelle Beispiele sind dabei etwa die Holzschnitte Christiane Baumgartners, welche als Bildquellen sowohl Fotografien aus Zeitschriften, aber auch Stills aus von ihr produzierten Videoarbeiten nutzen. Diese Quellbilder zerlegt Baumgartner digital in ein horizontales Linienraster, das sie anschließend auf eine Holzplatte überträgt, aus der sie schließlich, in monatelanger Arbeit, die nichtdruckenden Partien von Hand heraus schneidet. So entsteht der eigentliche Druckstock, von dem, im letzten Schritt, die Holzschnitte Baumgartners gedruckt werden. Parallel zur Analyse exemplarischer Arbeiten zeitgenössischer Künstler_innen, richtet sich ein weiterer Fokus meiner Forschung auf historische Werke sogenannter Reproduktionsgrafiker, wie z.B. Marcantonio Raimondi und Cornelis Cort. Die Untersuchung der Stiche soll dabei eine historische Position herausarbeiten, die sich nicht in einer sklavischen Reproduktion eines vorhergehenden Entwurfs erschöpft, sondern die sich vor allem durch eine spezifische Intelligenz der Übersetzung auszeichnet. Aus heutiger Sicht werfen so etwa die Werke Marcantonios und Claude Mellans ein antizipierendes und aufschlussreiches Licht auf zeitgenössische Formen der Druckgrafik, die in ganz ähnlicher Weise, durch unterschiedlichste Taktiken der Übersetzung, autonome Werke schaffen.

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Betreuende:

  • Prof. Dr. Juliane Rebentisch
  • Prof. Susanne Winterling
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