Das Skurrile im Alltäglichen
Der Körper ist für mich das Kunstmedium Nummer eins. Da passiert erstmal alles, da kommt alles her. Er ist das Wahrnehmungsmedium.
Veruschka Bohn
Das Skurrile im Alltäglichen
50 Jahre | 50 Alumni: Veruschka Bohn
Ein Barhocker: vier Beine, 80 cm hoch, oben eine runde Sitzfläche. Auf diesem Alltagsgegenstand, ihrer »Mikrobühne«, wie sie erklärt, präsentiert Veruschka Bohn ihre neue Performance »Code Act«. Inwiefern die Bühne dieser Performance von ihrer Zeit in der Berliner Gastronomie inspiriert ist, mit der sie mittlerweile abgeschlossen hat, kann nur gemutmaßt werden.
Jedenfalls passieren auf dem Hocker eigenartige Dinge: Während das Licht über dem Stuhl ihren Schlagschatten hart auf den Boden wirft, kauert Veruschka, zunächst verschlossen wie ein Koffer, auf der Sitzfläche. 15 Minuten lang verändert die Performerin dann in gefühlter Zeitlupe ihre Position, macht eine Evolution durch von kreatürlichen Krümmungen zur aufrechten Haltung. Mit diesem abgründig-unterhaltsamen Schattentanz mit dem Hocker tourt Veruschka demnächst durch Taiwan.
Ein Besucher berichtete ihr, er habe in der Performance das Ausleben eines Fetischs gesehen, erzählt Veruschka. Ganz abwegig ist diese Interpretation nicht, denn die Schattenseiten des menschlichen Daseins und die Tatsache, dass der Mensch »in jeder Situation ein sexuelles Wesen« sei, so die Künstlerin, spielen in ihrer Arbeit eine große Rolle. Dass ihre Tänze mit den Obsessionen immer auch etwas Humoristisches haben, ist Veruschkas Kunst. »Ich suche das Skurrile im Alltäglichen«, sagt sie.
Veruschka lebt seit Jahren in Berlin, aktuell in Kreuzberg. Schon während ihres Studiums an der HfG Offenbach, das sie 2015 abgeschlossen hat, zog es die Künstlerin in die Bundeshauptstadt. Die Performance-Szene war dort wesentlich ausgeprägter als in Frankfurt, auch dank vieler Künstler_innen aus San Francisco.
How to Graduate from Art School
Obwohl es damals an der HfG noch keine Performance-Professur gab, absolvierte Veruschka ihr Diplom mit einer Performance. Unterstützt wurde sie von ihren Prüfer_innen, der leider viel zu früh verstorbenen Filmprofessorin Rotraut Pape (Praxis) und dem Mediensoziologen Marc Ries (Theorie).
»How to Graduate from Art School« heißt Veruschkas Diplomarbeit und das autoreflexive Moment des Titels ist Kern der Arbeit. Die Performerin reagiert mit ihren Bewegungen auf die Anweisungen von verschiedenen Youtube-Coaches, deren Stimmen über die Lautsprecher zu vernehmen sind. Auf den im Publikum verteilten Smartphones sind die Videos der zusammengeschnittenen Tutorials zu sehen. »Ich habe mir von den unzähligen Mentoren des Internets sagen lassen, wie ich mein Diplom bekomme« sagt die Künstlerin augenzwinkernd.
Performance ist bis heute der Dreh- und Angelpunkt ihrer Kunst. Seit 2018 arbeitet sie zusammen mit dem Medienkollektiv Humatic auch an »Re-Performances« – Performances, die durch technische Mittel eingefroren und später durch spezielle, teils interaktive Algorithmen wiederbelebt werden. Das aktuellste Werk aus dieser Serie heißt »The Love of the Metals« und wird am 14. März im National Taiwan Museum of Fine Arts seine Premiere feiern.
Doch Veruschka ist daneben, auch aus existenziellen Gründen, in anderen Gebieten unterwegs. Die Gastronomiejobs konnte sie dank ihrer Tätigkeit als Graphic Recorderin an den Nagel hängen. Unter dem Pseudonym Miss Vizzz wird sie für Kongresse gebucht, auf denen sie gesprochene Worte und komplexe Zusammenhänge in Bilder übersetzt. Diese Engagements halten ihr den Rücken frei für ihre freien künstlerischen Aktivitäten, neben den Performances etwa für das Fotografieren und das Zeichnen. 2018 hat sie mit »Wohlsein!« einen Bildband über ihrer Erfahrung in der Kneipenszene veröffentlicht.
Diese Vielseitigkeit führt Veruschka auf das Studium an der HfG zurück. Die Offenheit zwischen den Disziplinen, für viele auch ein Fluch auf der Suche nach den eigenen Talenten, sei für sie »ein Fest« gewesen.
Um den Kopf frei zu bekommen, fährt Veruschka auf die Ponderosa, eine kleine, freie Kunst-Ranch am Rande des Nationalparks Unteres Odental, eine Stunde nördlich von Berlin. Die Inneneinrichtung stammt von Schüler_innen von Joseph Beuys, die Workshops und künstlerischen Interventionen dort seien pure avantgardistische Inspiration. »Ein Spielplatz für Erwachsene! Da kannst du hingehen und dich komplett auflösen!«
Tour durch Taiwan
Performance im Rahmen der Ausstellungseröffnung »捉遊/戲場 Catch / Play«
15. März 2020
National Taiwan Museum of Fine Arts, Taichung
Performance mit HUMATIC und Olivier Pasquet
18. März 2020
C-LAB (Zentrum für elektronische Kunst), Taipei
Artist Talk
19. März 2020
National Taiwan University of the Arts, Taipei