José Segebre
Worauf warten wir? Die Zeit des Wartens in postkolonialen und queeren Ästhetiken
Fachbereich Kunst
Worauf gewartet wird konditioniert unsere Erwartungen und Hoffnungen. Warten wir auf den Bus, dann erwarten wir, dass er kommt. Kommt er nicht an, wird die Wartezeit als unbestimmt und endlos wahrgenommen; sie kann eine Last und Enttäuschung werden. Die empfundene Intensität dieser Zeit ist sehr subjektiv und situationsspezifisch. Dementsprechend wird das Warten existentiell.
Ich untersuche nun installative und performative Praxen in der Gegenwartskunst, insofern sie eine Strukturierung der Raumzeit und somit ästhetischer oder sonstiger Erfahrung aufweisen. Ich frage mich, worauf wir warten, wenn Kunstwerke die Zeit des Wartens in Erfahrung bringen. Was heißt, Kunst als Wartezeit zu erfahren? Was für Konsequenzen hat diese Verzeitlichung der ästhetischen Erfahrung? Was wird aus Hoffnung und Erwartung währenddessen? In meiner Promotion gehe ich vom Warten als Machtphänomen aus: Warten und warten lassen.
Die Zeit des Wartens scheint mir im Kontext des späten 20. Jahrhunderts von besonderem Gewicht zu sein, der im ästhetischen Bereich ein Abweichen von hochmoderner Objekthaftigkeit zur Gattungsverfransung signalisiert. War diese Zeit von sich wandelnden Marktpolitiken des Kalten Krieges geprägt, zeugte sie zugleich von einer radikalen Mobilisierung revolutionärer, dekolonialer und politischer Strategien–einer globalen Wucherung emanzipatorischer Bewegungen. Vor diesem Hintergrund wird meine Fragestellung in queeren und postkolonialen Umbruchzeiten verortet, die als sich überlagende, kontextbedingte Raumzeitlichkeiten zu gelten haben.
Meine derzeitige These lautet: queere und postkoloniale Praxen um Zeiten gesellschaftspolitischen und ökonomischen Umbruches lassen die Zeit des Wartens in Installationen und Performances so ausfallen, dass hegemoniale Machtgefüge unterlaufen werden. Für diese Überlegungen sind die Künstler Jack Smith (1932-89) und Hélio Oiticica (1937-1980) ausschlaggebend.
In Arbeiten aus den 60- und 70ern spielt Smith auf Zeit. Seine Performances erstrecken sich über so lange Zeiten, in denen so wenig passiert–mal eine Platte anspielen, mal einen Joint anzünden, immer wieder neu anfangen–dass das Erlebnis der Performance in eine Erfahrung des Wartens übergeht. Smith baut in seine Stücke weder einen klaren Anfang noch ein absehbares Ende ein. In wiefern wandelt ein scheinbar unerbittliches und unaufhörliches Warten in eine durchaus determinierte ästhetische Erfahrung ab; oder umgekehrt: eine scheinbar unaufhörliche ästhetische Erfahrung in bestimmte Wartezeit?
Während seines New Yorker-Exils besuchte Oiticica diese Performances und ging soweit, Smith als Vorläufer seiner mit Neville D’Almeida (1941-) konzipierten Cosmococas (1973-74) zu erklären. Diese partizipativen Installationen verwandeln Musik, Bewegtbilder und Drogenkultur in eine müßige Zeit, die Oiticica „Creleisure“ nennt. Diese zugleich übersättigenden und meditativen Erfahrungsräumen entstehen nach der Enttäuschung von ’68 aufgrund gescheiterter revolutionärer Bewegungen samt brutaler Intensivierung der Militärdiktatur Brasiliens (1964-85). Wie verhält sich das Warten auf eine bessere Zeit oder auf grundlegende Änderung zur Muße vom „Creleisure“? Lässt sich die Raumzeitlichkeit der Cosmococas mit der eines Wartens unbestimmten Anfangs oder Endes vergleichen? Wie grenzt sich die Zeit des Wartens von der Langeweile, der Melancholie oder der Muße ab und welche Parallele entstehen dabei? Ist ein Gefecht von Erwartung und Hoffnung das Besondere am Warten?Diese Arbeit legt den Schwerpunkt auf performative, installative, queere und postkoloniale in Umbruchzeiten entstandene Kunstwerke, deren Dauer unbekannt und endlos erscheint. Worauf warten wir? sammelt künstlerische Positionen, deren Ästhetisierung der Zeit des Wartens weniger einen flüchtigen Ausweg vom Hier-und-Jetzt sucht und vielmehr für einen reflexiven, strategischen und spielerischen Umgang mit den über die Zeit herrschenden Strukturen einsteht.
Betreuende:
- Prof. Dr. Juliane Rebentisch
- Dr. Marc Siegel