Lina Djouiai

Designing Growth, Growing Design Interdependenzen von Entwurf und technischer Innovation im Lichte zeitgenössischer Evolutionstheorien

Fachbereich Design

Technische Entwicklungs- und Anpassungsprozesse stehen unter dem Vorzeichen radikaler Wesensveränderung. Beschaffenheit und Voraussetzungen technischer Innovationen – wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz – befinden sich in exponentieller Entwicklung und sind zunehmend in der Lage, alle Bereiche menschlichen Lebens zu durchdringen. Die Dynamik der Prozesse kann zum plötzlichen Abbruch bisheriger Entwicklungslinien führen und somit unvorhersehbare Disruptionen hervorrufen. 

Das Forschungsvorhaben Designing Growth, Growing Design beschäftigt sich mit den Parallelen zwischen ebenjenen technischen Entwicklungsprozessen und den Aufgaben der Gestaltung solch innovativer Fortentwicklungen. Das allgemeine Ziel ist es, Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen Design und Wachstum, zwischen Entwurf und technischer Innovation aufzuzeigen. Im Besonderen geht es darum, für derartige Querverbindungen zwischen Technik und Design ein übergeordnetes Konzept zu finden und glaubhaft zu machen. Mit Hilfe eines solchen Konzeptes ließe sich die Designwissenschaft um eine Theorie und Methodik von Wachstumsaspekten erweitern.

Im Zentrum solcher Überlegungen wird die Evolutionstheorie in ihren dazu passenden Varianten stehen. Den Ausgangspunkt dafür bilden Betrachtungen zu unserem aktuellen Innovationsgeschehen, zuerst von technischer Seite. In What technology wants stellt Kevin Kelly die These auf, dass Maschinen und ihre Technologie eine evolutionäre Entwicklung durchlaufen – strukturell analog zur Evolution natürlicher Arten und Gattungen. Von der Seite des Designs stellt sich im Anschluss die Frage, wie sich eine derartige Evolution in der Technik auf das Entwerfen der dazugehörigen Produkte auswirkt. Ist die Entwicklung von Formen und Funktionen, Zugängen und Anmutungen abhängig von Hardware und Software technischer Fortschritte, weit mehr als man dies von äußerlichen Aspekten erwartet? Oder sind umgekehrt ästhetische Aspekte mitentscheidend für die technische Fortentwicklung? Bei genauer Betrachtung wird schnell klar, dass eine so gestellte Frage noch in wesentlicher Hinsicht zu kurz greift. Einfach schon deshalb, weil es in fortgeschrittenen Kulturen doch nicht mehr nur um das schiere ›Überleben‹ von Produkten geht, also der Frage, wie sie sich am Markt durchsetzen. So glaubte man noch in den 1970er-Jahren, das Design als Überlebenshilfe im Sinne einer Aufhübschung zu verstehen, Technik als Performanz, mit der man Eindruck schinden kann. Heute geht es vielmehr darum, wie Produkte in Lebenszusammenhänge eingebettet erscheinen und unseren Alltag grundsätzlich prägen. In letzterer Hinsicht sind es dann Fragen der Art, ob Produkte im Stande sind, unser Leben tatsächlich besser zu machen, und zwar in einem umfassenden und anspruchsvollen Sinne.Im Zentrum der Schätzung steht dementsprechend der konkrete Gebrauch und sein erfolgreiches und praxiserweiterndes Gelingen. In der Folge einer solchen Rahmensetzung liegt die Annahme nahe, dass Design und Technik weit enger miteinander verbunden sind, als es bisher den Anschein hatte. Beide Entwicklungen scheinen nicht nur parallel zueinander zu verlaufen, sondern, mit Niklas Luhmann gesprochen, sich in einer strukturellen Kopplung zu befinden. Es gilt dann weiter zu fragen, ob aus einer derartigen Engführung der verschiedenen Evolutionslinien nicht noch mehr folgt, etwa Wechselwirkungen in der jeweiligen Methodik – schon dies kein geringer Aspekt, hält sich doch bislang in manchem Umfeld der Glaube, Design sei seinem Wesen nach untechnisch und Technik an sich neutral gegenüber Fragen des Entwurfs. Ganz zuletzt lässt sich auch noch einmal nachhaken, ob nicht für den Evolutionsbegriff selbst ein Verstehens-Zuwachs in Aussicht steht: dann nämlich, wenn klar wird, wie im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert der Prozess von Veränderung und Anpassung in einer ganz neuen Intensität und einem zivilisatorisch erweiterten Umfang gedacht werden muss. Ein Moment, das aufs Ganze geht? Mit anderen Worten: Evolution reloaded in design.

Betreuende:

Prof. Dr. Martin Gessmann

Prof. Frank Georg Zebner

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