Pia Scharf
Beyond interface. Zum menschlichen und maschinellen Lernen im Design
Fachbereich Design
Das User Interface (UI) durchläuft aktuell einen signifikanten Wandel. Im Zuge maschinellen Lernens (übergeordnet: Künstlicher Intelligenz) und unter dem Einfluss universaler Vernetzung digitaler Gerätschaften verändert sich die Zugangsweise, wie technische Funktionen diverser Anwendungen in Gebrauch genommen werden.
Der theoretische Teil der Dissertation zeigt auf, wie das klassische User Interface, das Peter Sloterdijk einmal als ‚Make-Up der Maschinen‘ verstand, in Frage gestellt werden muss. Ihm zufolge werden überkomplexe Funktionen solange reduziert, bis dem Nutzer wiederum eigene Souveränität suggeriert werden kann (Peter Sloterdijk, Der Welt über die Straße helfen). In der Zwischenzeit ist die technische Entwicklung über den Punkt hinausgelangt, an dem überhaupt noch Eingaben von Seiten des Nutzers nötig sind, wie sehr sich diese auch einer raffinierten Vereinfachung verdanken. Dort, wo dem UI laut ISO-Norm die Rolle zur Bereitstellung von ‚Information‘ und ‚Control‘ zukam, werden in der Dissertation in Unterscheidung fünf historischer Perspektiven auf das User Interface dargelegt, wie das derzeitige ‚antizipative Interaktionsparadigma‘ in zwei semantischen Hinsichten betrachtet werden kann.
Wesentlich gilt: User Interfaces fungieren nicht mehr als Eingabemasken, mit deren Hilfe Eingaben Zeile um Zeile, Geste um Geste, Eingabe um Eingabe gemacht werden. Lernende Anwendungen, die zuweilen als ‚technoider Gegenüber‘ Eingaben vorwegnehmen, setzen Handlungsketten in Gang und antizipieren Entscheidungen ihrer menschlichen Gegenüber. Die Arbeit von Designer_innen, die bislang durch semantische Verweise von Anlernaufgaben im Umgang mit technischem Gerät entlastete, wird damit zwangsläufig auf den Prüfstand gestellt. Es wird gezeigt, wie neue Gestaltungsaufgaben im Zuge zunehmend autonom agierender Anwendungen weniger in der Ausgestaltung von Interfaces als Schnittstellen eines Ping-Pong-Spiels von Eingabe des Nutzers, Verarbeitung durch das Gerät und anschließende Anzeige auf dessen Oberfläche liegen. Vielmehr gilt es, Charakter und Rahmenbedingungen zu entwerfen, durch welche sich lernende Anwendungen im Gebrauch – also im Zusammenspiel mit dem Menschen – offenbaren. Damit lässt sich das User Interface auch nicht mehr sequentiell konzipieren. Menschliches und maschinelles Lernen bedingen und durchdringen sich gegenseitig. Beispiele aus dem Alltag, Bilder aus Science-Fiction und Erzählungen künstlich-menschlicher Gegenüber im Laufe der Menschheitsgeschichte werden in Stellung gebracht, um Ansprüche an die Mensch-Objekt-Interaktion in diesem Sinne neu zu bestimmen.
Gezeigt wird, dass der Mensch dort, wo maschinelles Lernen in Produkten des Industriedesigns Einzug hält, nicht automatisch von allen Lernaufgaben befreit ist. Auf menschlicher Seite wird immernoch gelernt. Vielleicht muss Design künftig weniger für schnelle Zugänglichkeit, als vielmehr für sorgfältige Nachvollziehbarkeit durch präzise gestaltete Stolpersteine sorgen – und gleichzeitig Rahmenbedingungen für maschinelles Lernen mitgestalten. Damit ist Entwerfen in jedem Fall eine äußerst anspruchsvolle Tätigkeit, die Designausbildung wieder eine hochpolitische Angelegenheit.
Der praktische Teil der Dissertation stellt in drei Typen von gestalterischen Kurzprojekten ästhetische Ansprüche, Einsatzbereiche für Algorithmen und Tools maschinellen Lernens, sowie Übungen und Reflexionsarbeiten bereit, die in der Hochschullehre zum Einsatz kommen können und schafft somit eine Ausgangsbasis zur Neuausrichtung der Lehre im Zuge gegenwärtiger, verfügbarer ‚KI-Tools‘ und Anwendungen.
Betreuende:
Prof. Dr. Martin Gessmann
Prof. Dr. Klaus Klemp
Prof. Frank G. Zebner
www.pia-scharf.de
Vita
Pia Scharf
Pia Scharf ist seit 2022 als Dozentin für vorwiegend designtheoretische und designgeschichtliche Inhalte an der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel (Schweiz) tätig. Im April 2025 reichte sie ihre Dissertation zu Design und maschinellem Lernen (KI) ein, die Verteidigung erfolgte im November 2025.
Pia Scharf studierte Industriedesign an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, einschließlich eines Austauschsemesters an der Tongji-Universität in Shanghai, China. Nach ihrem Abschluss im Jahr 2016 arbeitete sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Klaus Klemp am Lehrstuhl für Designtheorie und Designgeschichte der Hochschule für Gestaltung Offenbach, wo sie umfangreiche Erfahrungen in der Designforschung und -lehre sammelte. Sie hatte Lehraufträge in Theorie und Praxis an mehreren deutschen Kunst- und Designhochschulen, darunter die Hochschule Mainz (Fachbereich Kommunikationsdesign), die Hochschule für Bildende Künste Saar (Fachbereich Produktdesign) und die Hochschule für Gestaltung Offenbach (Fachbereich Industriedesign), inne. Von 2021 bis 2022 war sie als Vertretungsprofessorin für Designgeschichte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach tätig. Pia Scharf ist Gründungsmitglied des Vereins design inclusion e. V. und Mitglied der Gesellschaft für Designgeschichte e. V.