Maximal minimal
50 Jahre | 50 Alumni: Nicola Burggraf und Elena Burggraf-Reusch
Mit einer Korkeiche in Portugal fängt es an: ein knorriger, verzweigter Baum mit den wunderbaren Eigenschaften, immergrün und dabei einigermaßen anspruchslos in Sachen Bodenbeschaffenheit zu sein. Dessen dicke Korkschicht wird abgeschält, »per Hand«, wie Nicola Burggraf im Videointerview betont. Eine Win-win-Situation, denn während der Regerationsphase, in der die Borke nachwächst, kann der Baum mehr CO2 binden, als zuvor. Nach sechsmonatiger Reifung wird die abgeschälte Borke gekocht, in Blöcke gepresst und schließlich in Furnier geschnitten und auf ein textiles Trägermaterial aufgebracht, bei Bedarf noch gefärbt. »Wir bekommen die Korkeiche dann so auf Rolle« erklärt Nicola, während sie eine große Rolle mit dem ledrig aussehenden Stoff in die Kamera hält. Das Material sei samtig-matt, Wasser abweisend und sehr leicht, ergänzt ihre Zwillingsschwester Elena.
Auch der Rucksack »Como«, mit dem das Duo in diesem Jahr Gold beim German Design Award gewonnen hat, besteht aus der veganen Korkrinde. Ohne falsche Werbeversprechen geht es den Schwestern bei ihren Taschen, Rucksäcken und Accessoires um Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit: bei den Materialien, die verwendet werden, bei der Beschaffung, bei der Handfertigung im eigenen Atelier im Baden-Württembergischen Bad Liebenzell und bei der Distribution. »Wir produzieren keine saisonalen Mengen auf Halde, sondern, was gebraucht wird«, erklärt Elena. Zusätzliche »Zutaten«, wie Nicola die Metallteile und weiteres verarbeitetes Material nennt, werden aus der Region bezogen, etwa aus dem Schmuck- und Gold-Mekka Pforzheim. Dass die Schwestern in einem Holzhaus am Waldrand produzieren, passt da freilich ins Bild. Ein zweites Atelier ähnlicher Couleur entsteht aktuell in Limburg, wo es Elena und ihre Familie hin verschlagen hat.
Ihr Studio burggrafburggraf haben die Zwillingsschwestern im Jahr 2017 in Stuttgart gegründet. Den Schwerpunkt auf Taschen erklärt Elena damit, dass sie ein Medium seien zwischen Mode und Produktgestaltung. Letzteres studierten die beiden an der HfG Offenbach, wo sie 2009 ihr Diplom gemacht haben. Nicola absolvierte im Bereich Formgenerierung und Materialisierung bei Achim Menges zu Fragen des biologischen Lichts mit einer installativen Nutzung von einzelligen, leuchtenden Algen, Elena mit pneumatischen Faltstrukturen bei Dieter Mankau, damals Professor für Industriedesign. Es sei ein »Reifestudium« gewesen, sagt Nicola, in dessen Fokus schon immer ein experimenteller Umgang mit Material gestanden habe.
Diese Faszination am Material, insbesondere an nicht »klassischen« Textilien, umtreibt die Schwestern bis heute. Zusätzlich zum Korkstoff arbeiten sie gerade an Produkten aus »Pinatex« (Fasern der Ananasstaude) und Vegea (»Weinleder«, eine Lederalternative aus Resten der Weinproduktion). Neben eigenen Produkten stehen verstärkt auch Kooperationen. Mit dem Möbeldesigner Kevin Gerstmeier etwa wurde ein Stuhl realisiert, dessen Sitz- und Lehnfläche aus einer Korkbespannung besteht.
Nicht nur die Verarbeitung alternativer Materialien, auch eine Ästhetik des Minimalen zeichnet die Produkte von burggrafburggraf aus. »Jedes Element muss seine Berechtigung haben, es geht um die pure, nachvollziehbare Form« erklärt Elena. »Wir sind keine lauten Menschen, unser Logo und unsere Gestaltung auch nicht« ergänzt ihre Schwester lächelnd.
In der Ruhe liegt die Kraft, die Schwestern scheinen einen Nerv zu treffen. Neben dem German Design Award haben sie es in diesem Jahr auch auf die Longlist für »Emerging Designer of the Year« des Dezeen Award geschafft und wurden für die Unterarmtasche »Reto« mit dem Staatspreis Gestaltung Kunst Handwerk 2020 ausgezeichnet.
Letzterer hätte zu keinem geeigneteren Zeitpunkt kommen können, denn die mediale Aufmerksamkeit sicherte auch ein Stück weit das finanzielle Auskommen. Eine Stunde nach einer Fernsehübertragung des Südwestrundfunks seien Bestellungen über den Onlineshop reingeprasselt, außerdem habe das Badische Landesmuseum die »Reto« für die eigene Sammlung angekauft. Ein regelrechter Paukenschlag in diesem Coronajahr 2020, in dem nur eine der für die Schwestern so wichtigen Endverbrauchermessen physisch stattfand.