GERICHTSBESCHLUSS IN HESSEN

vor 17 Jahren

Ein Bericht des Spiegel Online/UniSpiegel

Hessen kassiert Studiengebühren von allen Studenten - aber verfassungsrechtlich ist das Gesetz fragwürdig. So sehen es auch Gießener Richter: Sie ordneten jetzt an, dass ein Medizin-Student bis zur endgültigen Klärung keine Campusmaut zahlen muss.

Mehrere Bundesländer treiben bereits Studiengebühren ein, darunter Hessen. Auch dort kostet das Studium 500 Euro pro Semester, die erstmals zu diesem Wintersemester fällig wurden. Die Campusmaut ist überall politisch wie juristisch umstritten. In Hessen indes ist die Rechtslage besonders knifflig - weil Artikel 59 der Landesverfassung regelt, dass die Erhebung von "Schulgeld" nur bei wirtschaftlich leistungsfähigen Studenten zulässig ist.

Ein Eilbeschluss lässt jetzt das "Studienbeitragsgesetz" noch stärker wackeln als bisher: Das Verwaltungsgericht Gießen hat entschieden, dass ein Student der Humanmedizin vorerst keine Studiengebühren zahlen muss. Die Richter äußerten ernste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

Regierung nicht durch Darlehen aus dem Schneider
Der Gießener Medizinstudent hatte zuvor Widerspruch gegen den Gebührenbescheid eingelegt und aufschiebende Wirkung beantragt, was die Universität beides ablehnte. Daraufhin klagte er beim Verwaltungsgericht und hatte damit Erfolg. Er darf also bis zur endgültigen Entscheidung nicht vom Studium ausgeschlossen werden. Der Eilbeschluss vom 30. Oktober wurde heute veröffentlicht (Aktenzeichen 3 G 3758/07). Dagegen kann beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof noch Beschwerde eingelegt werden.

Die Gießener Richter äußern ihre rechtlichen Bedenken deutlich: Nach Artikel 59 könne eine gesetzliche Anordnung von "Schulgeld" nur ergehen, "wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet". Eine Unterscheidung zwischen wirtschaftlich zahlungsfähigen und nicht zahlungsfähigen Studenten sehe das Studienbeitragsgesetz aber nicht vor. "Die Gebühren muss jeder Student zahlen, und der Beitrag wird sofort fällig", sagte Gerichtssprecherin Sabine Dörr.

Als unerheblich wertete das Verwaltungsgericht es, dass das Land Hessen allen Studenten ein Darlehen anbietet, die die Studiengebühren nicht aufbringen können. Auf diese Weise könne keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hergestellt werden, betonte die Kammer. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu vergleichbaren Sachverhalten im Sozialhilferecht.

Ob die Studiengebühren verfassungsgemäß sind, wird der hessische Staatsgerichtshof zu klären zahlen. Wie heute bekannt wurde, soll dort im Frühjahr 2008 verhandelt werden - also erst nach der Landtagswahl. Einen genauen Termin nannte Carsten Schütz vom Staatsgerichtshof in Wiesbaden nicht.

Asten fordern Rückzahlung der Gebühren
Die Verfassungsrichter müssen sich mit gleich zwei Klagen beschäftigen: Die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen hatten bereits im Februar eine gemeinsame Klage gegen das Gebührengesetz eingereicht; hinzu kam im Juni eine "Volksklage". Dafür hatten Studentenvertreter und Gewerkschaften fast 80.000 Unterschriften hessischer Bürger gesammelt - notwendig waren 43.300, ein Hundertstel aller wahlberechtigten Hessen. Möglicherweise würden beide Klagen gemeinsam verhandelt, oder eine zweite Verhandlung erübrige sich nach der ersten, sagte Carsten Schütz vom Staatsgerichtshof.

SPD und Grüne hatten im Landtag im Juli vergeblich eine Aussetzung der Gebühren gefordert. CDU und FDP lehnten das ab. Außer den Klägern hält auch Ute Sacksofsky, der Landesanwältin am Hessischen Staatsgerichtshof, die Gebühren für verfassungswidrig. Die mit der Volksklage betrauten Juristen sehen ebenfalls gute Ansatzpunkte für einen Erfolg vor dem Staatsgerichtshof. Die CDU hingegen hält das von ihrem Wissenschaftsminister Udo Corts (der mit dem Fanclub) erarbeitete Gesetz für verfassungsgemäß und die Regelungen für sozialverträglich.

Für Studentenvertreter bedeutet der neue Eilbeschluss Rückenwind: "Wir fordern die Hochschulleitung auf, den Beschluss des VG Gießen anzuerkennen und den Studierenden die Studiengebühren zurück zu zahlen", erklärt Antonia Capito, Referentin für Hochschulpolitik im Gießener Asta. "Bis der Hessische Staatsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes entschieden hat, muss die Erhebung insgesamt ausgesetzt werden."

jol/dpa/AP