Verabschiedungen

vor 15 Jahren

Die HfG Offenbach verabschiedet sich von Prof. Dr. Hans-Peter Niebuhr und Prof. Friedrich Friedl, die zum Ende des Sommersemesters 2009 in den Ruhestand gegangen sind.
Dr. Niebuhr wurde 1944 in Lüchow geboren. Nach einem Studium der Germanistik, Politik und Soziologie, nahm er 1975 seine Lehrtätigkeit als Professor für Mediensoziologie im Fachbereich Visuelle Kommunikation an der HfG Offenbach auf. Seine Arbeitsschwerpunkte waren Kommunikation, Medien und (Alltags-)Kultur. Dazu sind diverse Veröffentlichungen erschienen. Friedrich Friedl wurde 1944 in Fulnek/CSFR geboren. Er absolvierte nach einer Schriftsetzerlehre ein Grafik-Design-Studium in Darmstadt; seit 1983 hatte er die Professur für Typographie im Fachbereich Visuelle Kommunikation an der HfG Offenbach inne. Neben angewandten und freien Arbeiten zahlreiche Textveröffentlichungen bei in- und ausländischen Verlagen.
Die HfG dankt beiden ehemaligen Professoren für die langjährige Lehrtätigkeit.

Prof. Friedrich Friedl

vor 15 Jahren
Friedl

Friedrich Friedl - Verabschiedung
Ein Abschied nach Wiederbegegnung
(Text: Dr. Burghart Schmidt, aus: »Flow«, Jahresbericht 2009 der HfG Offenbach)

Da ist ein Kommen und Gehen unter den Lehrkräften an der Hochschule für Gestaltung Offenbach a. M. in den letzten Jahren, eben Generationswechsel. Nun verabschiedet sich auch der Kollege Friedrich Friedl, der Professor für Typografie, aus der Lehre am Haus. Er hatte mit seinem Fach einen schwierigen Stand. Denn voll trafen das Fach all´ die sich beschleunigenden Veränderungen der Technologie in Buch-, Zeitschriften- und Plakatproduktion, seit der Computer hierin eingeführt wurde.
Friedl selber spricht von einem »elektronischen Tsunami«, der ins Fach fuhr, vielmehr wogte. Aber dieser elektronische Höchstseegang hat ja doch auch weiterhin mit der Buchstabenwelt und insbesondere ihren Gestalten zu tun, auch wenn diese über andere, ganz neue Techniken zu Buche schlagen oder an den Leser-Seher übermittelt werden und sei es auf der ruhelosen Flimmerscheibe als Fenster zu weiteren Welten. Das hat Friedl von Anfang an begriffen und seine Arbeit von der Tsunami-Woge tragen lassen, zäh alte ästhetische Produktionsinteressen in die neue Technik eintragend oder in ihr behauptend, dazu angeregt durch neue Technik auch neue Produktionsinteressen, damit die Welt nicht ärmer werde oder wenigstens nicht soviel ärmer. Der Buchstabe bleibt als ästhetisches und funktionales Problem. So blieb auch lehrende und forschende Tätigkeit unseres Kollegen Friedl, der sich vom Rausch der Zeit nicht beeindrucken ließ und gegen diesen eine gewisse produktive Schwerkraft entwickelte.

Als ich 1997 an die Hochschule kam, stellten Friedl und ich rasch fest, dass wir urlang zurückliegende Verbindungen schon gehabt hatten. Denn Friedl wuchs im Stuttgarterischen heran, dort verbrachte er seine Schulzeit. Und ich war zum Studium an die Universität Tübingen gegangen. Aber nicht nur dort bei meinem Hauptlehrer in Philosophie, Ernst Bloch, studierte ich, sondern auch bei dem mir zweitwichtigsten Lehrer des Fachs, Max Bense, der über Jahrzehnte die Stuttgarter Kulturatmosphäre stärkst mitbestimmte. Friedl nun, obwohl er dann an der Fachhochschule Darmstadt studierte (1968 – 1972), tat sich doch auch um in seinem Stuttgarter Herkunftskreis, war darum ebenso beeinflusst von der Benserichtung, was wiederum zu Hintergründen aus der Ulmer Hochschule für Gestaltung führte, mit Max Bill, Eugen Gomringer, Otl Aicher, Tomasio Maldanado, Joseph Albers, Almir Mavignier: Konkrete Kunst, Konkrete Poesie überhaupt im Interessen- und Orientierungsfokus, darin begegneten wir einander, Friedl und ich. Und das hat ja auch mit dem Charakter unserer Hochschule in Offenbach zu tun, an der noch lange und bis vor kurzem Franz Mon lehrte.
Aber es ging nicht nur um diese gleichsam ideelle Überkreuzung. Im Stuttgarter Atmosphärenbereich einschließlich der Buchhandlung Niedlich mit dem Knüller und dem Reisser als den konkreten Buchwerken Wendelins lernten wir uns auch persönlich kennen. Das hatte außer der Knüllerei und der Reisserei um immer klarere Konkretheit auch fransende Ausrisse. Eine gemeinsame Freundin, die nach einer Niedlichzeit in der für Theologie und Philosophie berühmt gewesenen Tübinger Buchhandlung der Julie Gastl Mitarbeiterin war, Nadja Krikunowa, genannt Kriku, vereinigte uns zu einer Fahrt ins Blaue. Und was war deren endlich aufgedecktes Ziel? Die Feier des 80. Geburtstags von Martin Heidegger in der Galerie Im Erker, St. Gallen, Schweiz, Schwerpunkt auch für Konkretes. Überall an den Wänden hingen in begratulierter Anwesenheit Heideggers gerahmte Faksimiles Heideggerscher Manuskriptseiten mit der merkwürdigen Mischung aus deutscher und lateinischer Schrift. Während ich in der Tat die Einladung zur Fahrt ins Blaue ausgeschlagen hätte, hätte ich das Ziel der Bläue geahnt, so muss dem von der konkreten Poesie orientierten Friedl zum Kotzen gewesen sein bei dieser handschriftlichen Mixtur. Und doch hat er, der sich der Ästhetik der Typografie unter industriellen Produktionsbedingungen widmete, das Problem gesehen, das mit der Typografie der lebendigen Handschrift ins Haus steht, auch ein Problem der Konkreten Poesie. Denn das ist das Entscheidende: unser nun von der Professorenschaft der Hochschule Offenbach Abschied nehmender Kollege Friedl fing noch geradezu handwerklich-industriell an nach der Schule mit einer Setzerlehre, deren Abschluss er umsetzte zunächst in Arbeit als Schriftsetzer. Erst dann folgte das Gestaltungsstudium in Darmstadt, das den weiteren Weg bestimmte. Friedl kam also gründlich aus einer handwerklich-industriellen Praxis. Aber gerade seine Stuttgarter Hintergründe, wie ich sie hier mehr impressionistisch zeichnete (Max Bense etc.), drängten ihn in den wachsenden theoretischen Aspekt der Typografie. So sah dann auch später seine Lehre aus und seine forschenden Buchpublikationen. Das war nicht mehr der Setzer, sondern der, der sich von Setzern setzen lassen musste mit seinen Texten. Rechtzeitiger Rückzug auf die andere Seite der elektronischen Entwicklungsfront.

Denn wenn heute ein alter Beruf ins Aus geschickt wurde durch die technologische Entwicklung, dann ist es der des traditionellen Setzers. Überwiegend stellen heute die Autoren selber über die elektronische Technik den Satz her. Erst das Layout überschreitet ihre Setzerfunktion. Aber hier setzt wieder die typografische Fachtätigkeit des Friedl´schen ein, doch nun nachhaltig aus dem Handwerk in die theoretisch geleitete und gestützte Konzeptionalisierung transformiert. Bleisatz kommt ja wohl in Zukunft nur für bibliophile Sonderausgaben einer Minderheitennachfrage in Frage. Gerade das sieht Friedl sogar als eine Befreiung durch neue Technologie aus der Bleikistensetzerei an für die Typografie, die sonst so total in die Rechtwinkeligkeit erwiesen gewesen wäre. Jetzt lassen sich geradezu biodynamische Formwelten des Typografischen denken, vorstellen, entwerfen. Friedl ging es also immer darum den Veränderungen das ihre, nämlich ein brauchbar Neues abzumarkten. Gewiss gehörten seine Lehre und Forschung an unserem Haus zu den Faktoren, die unsere Hochschule mit der Nachfahrenschaft zur industriell-politisch ausgetrockneten, dann zugemachten Ulmer Hochschule verbanden: Hintergrund Konkrete Poesie, Konkrete Kunst. Franz Mons Tätigkeit hier wurde schon angezeigt. Konkrete Poesie, Konkrete Kunst waren also eins zu eins präsent an unserem Haus. Im Sinn solcher Anknüpfungen muss Friedl´sche Orientierung bleiben über seinen Abschied hinaus. Denn die Typografie ist ja eben nicht funktionslos geworden für die Schriftlichkeit der Zukunft, ästhetisches Problemfeld überdauert darin bei allen technischen Veränderungen. Darüber hinaus hat Friedl durch sein bisheriges Lebenswerk bewiesen und bewährt, dass er die Verwissenschaftlichung unserer Lebenswelt voll begriffen hat und dem in Lehre wie Forschung nachgekommen ist. Also nicht nur im Sinn des Anknüpfens an die Traditionen des Konkreten, sondern auch im kritischen Theoretisieren des Gestaltens muss und wird Einiges bleiben und durchgehalten werden in die Nachfolge hinein, was Friedl als Rayon des Typografischen einrichtete. Das Theoriegewicht war so nachhaltig bei ihm, dass ich eine seiner Diplomandinnen, Nadine Schreiner, geradezu umstandslos hinüberführen konnte zu einer Promotion, die nicht nur ich, sondern auch die Wuppertaler Kollegen, insbesondere Siegfried Maser aus der Stuttgarter Schule, für erwiesen summa cum laude mit Auszeichnung beurteilten. Synergetische Reflexe von Hochschulen untereinander bei Wiedererkennungen? Das meint bei Friedl auch immer den Hintergrund Max Bense/Stuttgart/Ulmer Hochschule für Gestaltung. Wenn Friedl nun ausfällt? So sofort und ganz wird das allerdings nicht eintreten. Von unserer Hochschule verabschiedet man sich wie die Schlangen: allmählich (Georg Simmel). Weil Nachbetreuungen und Prüfungen noch folgen. Aber abgesehen vom allmählichen Abschied: Die Tendenz zu Konkreter Kunst, die Tendenz zu Konkreter
Poesie muss weitergetragen werden im Dank an Friedls Arbeit bei uns als Professor seit 1983.

Prof. Hans-Peter Niebuhr

vor 15 Jahren
Niebuhr

Hans-Peter Niebuhr - Verabschiedung
Gut Ding braucht Weile
(Text/Interview: Adam Jankowski, Dekan des Fachbereich Visuelle Kommunikation, aus: »Flow«, Jahresbericht 2009 der HfG Offenbach)

Zum Ende des Sommersemesters beendet Dr. Hans-Peter Niebuhr nach 34 Jahren seine Lehrtätigkeit als Professor für das Fach Mediensoziologie im Fachbereich Visuelle Kommunikation. Mit seinem Ausscheiden verliert der Fachbereich VK einen seiner Gründungsväter; einen beliebten Kollegen, der mit seinen stets brillant formulierten Analysen und Anregungen zusammen mit den beiden ehemaligen Rektoren Prof. Kurt Steinel (Zeichnen und Illustration) und Prof. Wolfgang Sprang (Grafik-Design) und dem 1989 als Gründungsrektor an die Kölner Kunsthochschule für Medien gewechselten Professor für Theorie der Visuellen Kommunikation Manfred Eisenbeis, zu den Persönlichkeiten des frühen VK-Kollegiums gehört, die die Entwicklung der HfG Offenbach in punkto konzeptioneller Aufstellung — aber auch intellektueller Atmosphäre — nachhaltig geprägt haben. Eine Zäsur zeichnet sich also ab.
Seit seiner Berufung im Jahre 1975 engagierte sich Prof. Hans-Peter Niebuhr mit großem Einfühlungsvermögen und beeindruckender inhaltlicher Klarheit für die Belange der Theorie. Im vertrauten Zusammenwirken mit den Professoren für Kunstgeschichte Dr. Hans Voss (bis 1980), Dr. Eva Huber (1982 bis 2005) und Dr. Christian Janecke (seit 2006), dem Schriftsteller Dr. Herbert Heckmann (1980 bis 1995) und dem Philosophen Dr. Burghart Schmidt (seit 1997) als Professoren für das Fach Sprache und Ästhetik, schließlich mit der Unterstützung von zahlreichen wechselnden Gastprofessoren und Lehrbeauftragten (beispielhaft für viele seien hier nur Dr. Dietrich Mathy und Dr. Petra Leutner für das Fach Wahrnehmungstheorie / Wahrnehmungspsychologie genannt) hat Prof. Hans-Peter Niebuhr durch seine klärenden Ideen und Interventionen erheblich dazu beigetragen, dass im Fachbereich Visuelle Kommunikation im Verlauf der Jahre eine spezifische, nach den Bedürfnissen einer exzellenten Lehre für Kunst, Design und Medien geformte Struktur von Theorielehrangeboten gewachsen ist, die sehr produktiv miteinander verschränkt sind. Die HfG-Theorieabteilung präsentiert sich heute kompetenter denn je, und so ist es daher für mich gar nicht überraschend, dass ein von unseren Theoretikern speziell entworfenes synergetisches Modell von Theorie- und Praxislehrangeboten demnächst in die Promotionsmöglichkeit an der HfG samt promotionsbegleitenden Studien münden wird. Prof. Hans-Peter Niebuhrs Beitrag zur Entwicklung der HfG hat seinen Niederschlag aber nicht nur in Reformen der Studiengänge und den Beschlüssen der Gremien gefunden. 1975 als Professor für Sozialwissenschaften berufen — sozusagen als Experte und Mediator bezüglich der bohrenden Fragen der rebellierenden 68er Studentenschaft —, sorgte der an der Hochschule für Gestaltung Offenbach zu einem dezidierten Mediensoziologen spezialisierte Gesellschaftswissenschaftler Dr. Hans-Peter Niebuhr mit seinen analytischen Ausführungen — auch durch seine Auftritte bei zahlreichen Tagungen und Symposien und durch die langjährige Redaktion des Theorieorgans »HfG-Forum« — bei vielen Generationen von Studierenden für ein geschärftes kritisches Instrumentarium der Erkenntnis. Und auch für den heute mehr denn je nötigen Eigensinn! Und was das Kollegium betriff t? Hier scheint mir Hans-Peter Niebuhrs Verdienst besonders darin zu liegen, dass er mit seinen präzisen intellektuellen Beiträgen in Konferenzen und informellen Meetings dem manches Mal orientierungslos zögernden Kollegium der jungen, sozusagen aus dem Nichts gegründeten Institution HfG zu einem reflektierten, soziokulturell wohl fundierten und ausdifferenzierten strategischen Selbstbegriff verholfen hat. Dieser Verdienst kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zum Abschied in den »Unruhesstand« habe ich unseren Kollegen Prof. Dr. Hans-Peter Niebuhr mit einigen Nachfragen konfrontiert.

Adam Jankowski: Lieber Hans-Peter Niebuhr, Du hast vor 34 Jahren die Lehrtätigkeit an der HfG Off enbach aufgenommen. Damals war unsere Institution gerade fünf Jahre als Kunsthochschule gegründet — wie stellte sich damals die Situation der Hochschule dar?
Hans‑Peter Niebuhr: Lass mich eine Vorbemerkung machen: Dass aus den zunächst beabsichtigten vier Jahren 34 geworden sind, überrascht mich nachgerade selbst. Mit einer solchen Beharrlichkeit, wenn nicht Verharrlichkeit hätte ich selbst nicht gerechnet. Aber abgesehen von gewiss auch familiären Gründen war es immer und vor allem diese spannende, auch spannungsreiche, durchaus widersprüchliche, selten langweilige, dazu überschaubare Institution HfG Offenbach und das spezielle Profil ihrer Menschen, das mir viel gesagt hat und mich hier gebunden hat. Die vielbeschworene Konstellation von Kunst, Design und Wissenschaft, von expressiven, methodischen und analytisch-reflexiven Verfahren mit ihren Differenzen und Übergängen: dieses heikle Balancieren in Zwischenreichen bei Absturzgefahr — das hatte etwas Unverwechselbares, woanders so nicht leicht Vorfindbares und Anregendes. Im übrigen entspricht dieses Streifen auf so vielgestaltigem Gelände meinem Hang zum Flanieren, der Lust an Diesem und Jenem, an Brechungen, am Essayistischen im Wortsinne des Versuchs. Aber zu Deiner eigentlichen Frage: Meine ersten Jahre hier fielen in die Auf- und Ausbauzeit der HfG Offenbach — gerade auch, was ihren Theoriesektor anging. Es war eine bewegte und bewegende Zeit. Es herrschte nicht zuletzt im Nachklang der Politisierung von 1968 ein großer Hunger nach Welt- bzw. Gesellschaftserklärung, nach Aufklärung vor. Die Institution und ihre Personen standen auf dem Prüfstand. Ein Wind der Öffnung, des Aufbruchs und das Bedürfnis nach kritischer Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Rolle des Künstlerischen kennzeichneten die Lage. Ich erinnere mich an ein fast existenziell anmutendes Wissen- und Handelnwollen, eine allgemeine Diskussionslust, eine Emphase wie danach nicht mehr. Das Aufregende an der damaligen Situation war, dass die HfG Offenbach auf dem Weg war, offen und gewissermaßen noch selbst gestaltet werden konnte. Das ging natürlich nicht ohne Konflikte, auch Blessuren ab, denn es ging um Konzepte, um Richtungsentscheidungen, um Macht und Entmachtung… Soziologie jedenfalls und besonders in ihrer Version der sogenannten Kritischen Theorie, der ich mich verpflichtet fühlte, war in dieser Situation so eine Art Basistheorie.
Adam Jankowski: Hattest Du von Anfang an ein bestimmtes Lehrkonzept und wie hat es sich im Verlauf der Jahre verändert?
Hans-Peter Niebuhr: Mit dem angedeuteten Szenario hängt zusammen, dass mein Lehrkonzept zunächst noch eher unspezifisch, gewissermaßen in statu nascendi war und sich die Lehrinhalte mehr allgemein und zum Teil in Abstimmung mit den studentischen Interessen auf dem Feld von Kunst, Design und Gesellschaft bewegte, allerdings akzentuiert durch Fragen einer materialistisch orientierten politischen Ästhetik. Ich erinnere mich an lebhafte Diskussions bzw. Lektüregruppen beispielsweise um das Werk des inzwischen wieder vergessenen marxistischen Kunsttheoretikers Max Raphael, oder auch die »Ästhetik des Widerstandes« von Peter Weiss, um daran das gesellschaftliche Widerstandspotential von Kunst immer auch in Beziehung zur Praxis der Teilnehmer zu thematisieren. Und das alles gewissermaßen außer der Reihe und teilweise jenseits der »Scheinfrage«. Im Zuge der Ausweitung und Differenzierung des Lehrangebotes an der Hochschule, — so kamen Bühnenbild, Film, Video hinzu, Fotografie gab es bereits — hielt ich es für sinnvoll, die bis dahin eher implizite Thematik von Kommunikation und Medien — gewissermaßen Basisthematik alles Ästhetischen — selbst in den Mittelpunkt zu rücken und die Entfaltung der Lehre inhaltlich und strukturell neu aufzubauen. Es entstand, was nun schon seit vielen, vielen Jahren hier unter Mediensoziologie firmiert und inzwischen gut eingeführt ist, bzw. ein klares disziplinäres Profil hat. Angesichts der Bedeutung, auch durch das Hinzutreten der inzwischen gar nicht mehr neuen Medien für die individuelle und gesellschaftliche Reproduktion haben – ich erinnere nur an Luhmanns Diktum: »Alles, was wir wissen,« übrigens auch wie wir wissen, »wissen wir über die Medien« -, war dies eine wichtige, sehr frühzeitige Weichenstellung, bei der die HfG, insbesondere was vergleichbare Institutionen anging, eine gewisse Vorreiterrolle einnahm.
Adam Jankowski: Im Verlauf Deiner Lehrtätigkeit hat die Gesellschaft einen sozialen Wandel durchgemacht, von der Moderne über Postmoderne zum kannibalisierenden Kapitalismus…? Ist das richtig wiedergegeben und wie kann man das kommentieren?
Hans-Peter Niebuhr: In der Tat könnte man versucht sein, in der Spanne meiner Lehrtätigkeit eine nun sich rundende Geschichte tiefgreifender Umbrüche, tektonischer Verschiebungen zu sehen. Deren Stichworte etwa sind der forcierte Übergang von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, die Computerisierung bzw. kommunikationstechnologische Wende der Arbeit und generell der sozialen Beziehungen, weg vom Kollektiv zum Situativ und zur Individualisierung, die fortschreitende mediale Durchdringung aller Lebensbereiche…, vor allem aber das Wegbrechen der sozialistischen Gesellschaftsordnungen mit den Veränderungen ganzer Weltgegenden und die Universalisierung der kapitalistischen Ökonomie als äußere, sozio-kulturelle wie innere psychische Kolonisation — Stichwort: Selbstrationalisierung. Das war verbunden mit einem steten, auf Wachstum gerichteten Aufwärtstrend. Und nun also gegen Ende meiner Tätigkeit der Knall, eine Art Implosion, als sei ganz nach den Regeln des aristotelischen Theaters das Stück vom Aufstieg und Fall des Finanzkapitalismus als der höchsten, aber auch irrationalsten und destruktivsten Stufe kapitalistischer Ökonomie gegeben worden. Nach der Exposition und der daraus folgenden Handlung (siehe oben) nun also die Peripetie, der Umschlag. Nun kann sich alles zum Guten wenden, dann hätten wir eine Komödie erlebt. Oder es dreht als Katastrophe ins Schlimme – dann wohnen wir einer Tragödie bei. Offen bleibt noch die Frage nach der Katharsis, die Frage nach der reinigenden Wirkung in Form von Erkenntnis. Übrigens trägt — wer hätte das gedacht! — zum Verständnis dieses Dramas ein neuer Blick in die politische Ökonomie bei, aber auch jenes Theorem von der »Tauschgesellschaft«, der Warenförmigkeit menschlicher Beziehungen, ja, womöglich das selbst schon längst allseits beschmunzelte, kaum noch zitierbare Diktum vom universellen Verblendungszusammenhang… also, so Manches aus Theorietraditionen, die ich trotz aller unübersehbaren Patina und berechtigten Einwänden wachgehalten habe, und die sich mutatis mutandis mit Aktualität aufladen könnten. Es ist, als gäbe die Krise des Kapitalismus wieder heraus, was er vorher unter allgemeinem, von ihm inspirierten, wenn nicht finanziertem Beifall kassiert hatte.
Adam Jankowski: Auch unsere Kunsthochschule hat sich verändert. Welche Entwicklunghat sie durchlaufen? Wie stellt sich Dir diese Veränderung dar, und welche Perspektive siehst Du für die HfG Offenbach in der Zukunft?
Hans-Peter Niebuhr: Sicher ist die HfG Offenbach differenzierter, bunter und agiler geworden und über vielerlei Projekte inzwischen vielfältig mit dem gesellschaftlichen Umfeld verzahnt. Allerdings lässt sich beobachten, dass die gesellschaftlichen Ökonomisierungs- und Rationalisierungsprozesse mit ihrer Fetischisierung von Wettbewerb, Profilbildung, Zielvorgaben, Evaluierung usw. auch hier durchschlagen. Dies befördert eine Entwicklung, die diese Institution zum Durchlauferhitzer für die Vermittlung beruflicher Qualifikation macht und einen Studententypus erzeugt, der mit interessenloser Zielgerichtetheit studiert. Zunehmend, scheint mir im Übrigen, wird die hohe Kunst des Austarierens von (Persönlichkeits-) Bildung, der Entfaltung und Beförderung künstlerischen Eigensinns und Marktfunktionswissen gefragt sein. In diesem Sinne wird auch weiterhin gegen die möglicherweise nicht völlig abgewendete Bachelor- und Masterregelung, die auf eine Zerschredderung des bisherigen Kunst-Hochschulverständnisses hinausliefe, zu kämpfen sein. Positiv zu vermerken ist, dass die theoretisch-wissenschaftliche Komponente der HfG inzwischen fest verankert und konsensuell akzeptiert ist. Sie muss aber gestärkt werden. Die angestrebte Promotionsmöglichkeit eröffnet perspektivisch einen hochspannenden erweiterten Gestaltungsbegriff. Es könnte Raum für ästhetische Grundlagenforschung entstehen. Ein neuer Studierendentypus könnte sich angesprochen fühlen. Zum Schluß möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden, die mir durch alle die Jahre im Miteinander oder Gegenüber ein so befriedigendes Arbeitsfeld ermöglicht haben, bedanken. Jetzt ist es Zeit für den Abschied, der allerdings keine Trauerfeier sein soll, sondern voraussichtlich zu Beginn des Winter-Semesters mit einem Symposium begangen.