Christine Würmell

Image-Sharing und Aktivismus

Fachbereich Kunst

Man könnte sagen, dass das Leben unter den gegenwärtigen Bedingungen des globalen Kapitalismus - in dem "alle Aspekte des gemeinsamen Lebens den Gesetzen des Marktes untergeordnet sind" (Rancière, 2012) – eines ohne politische Visionen ist. Gleichzeitig prägen Bilder zunehmend alle Bereiche des Leben und operieren in ihnen, während das Internet, das den Zugang zu den unterschiedlichsten Bildwelten und Informationen ermöglicht, unser gegenwärtiges Paradox einer digitalen Sphäre, die sowohl die Phantasie einer funktionierenden partizipativen Demokratie (einer ‚wahrhaften‘ öffentlichen Sphäre) als auch den Orwellschen Alptraum eines monolithischen »Überwachungssystems, ... eines Werkzeugs der Repression,« (Greenwald, 2014), verkörpert. In und unterstützt von dieser vernetzten Welt, hat das Teilen von Bildern in den letzten Jahren eine neue, und in dieser kurzen Zeit, alltägliche Rolle eingenommen. Weit verbreitet ist dabei die Annahme, dass gesellschaftliche Realität mittels dieser Praktiken aktiv verändert werden kann.

Mit meiner Forschung werde ich dieser Behauptung und der Frage - ob, wie und welche Veränderungen diese Werkzeuge und Praktiken im Kontext der revolutionäre Aufstände bewirkt haben – nachgehen. So könnte man beispielsweise sagen, dass die partizipative Praxis des Image-Sharing mit einem »Begehren nach Kollektivität« (Dean, 2014) korrespondiert, insbesondere, wenn man die Art und Weise betrachtet, wie sich Menschen heute in die Politik einbringen. Solcherart verkörperte Formen der Versammlung, On- und Offline, implizieren dabei, indem sie dem Körper (statt nur der Rede und dem Handeln) eine Rolle in der Politik zuweisen (Butler, 2015), zusätzlich ein neues Verständnis des Arendtschen »Erscheinungsraums«, das in seinen Implikationen genauerer Erforschung bedarf. 

Wie im Falle der revolutionären Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, der internationalen Bewegung der Arbeiterfotografie oder dem Militanten Kino der 1960er Jahre basieren solche Bewegungen auf der Wahrnehmung einer Dringlichkeit, die Realität grundlegend transformieren zu müssen. Aus einer anderen Perspektive betrachtet haben sie viel mit der zeitgenössischen vernetzten Welt gemein, in der Realität unmittelbar in Bilder umgewandelt wird, d.h. in manipulierbare digitale Dateien, die für Jeden Jederzeit für weltweite Zirkulation und unmittelbaren Konsum verfügbar sind. Dokumentarische Bilder oder Augenzeugenvideos können dabei in dieser »beschleunigten Infosphäre« (Berardi, 2012) in bestimmten Fällen selbst zu Akteuren in symbolischer und realer Politik werden. Und das könnte auch bedeuten, dass es unmöglich wird, Bilder und Geschichten zeitverzögert, im nachhinein zu entdecken und zu rezipieren. Ein permanentes »Umherschauen ... könnte so die vertikale Perspektive .... ,die das dialektische Bild inspiriert hatte, ersetzen« (Aurora Fernández Polanco, 2014).

Statt den einseitig gerichteten, aufklärerischen und emanzipatorischen Eigenschaften von unbewegten Bildern, die (oft) von Künstlern (im Auftrag eines Staates, oder als Kritik an ihm) geschaffen wurden (z.B. die russischen »Rosta-Fenster«, 1919-1922), stellen die ‚ungerichtete‘ Vergemeinschaftung von Bildern durch allgemeine Partizipation und »Prozesse der Identifikation und Empathie (oder nicht)" (Dean, 2014) und ihre Fähigkeit, unmittelbare Rückkopplungsschleifen in sich entfaltende politische Ereignisse zu erzeugen, eine signifikante Verschiebung in der Verwendung von Bildern dar. Das bedeutet, dass das zirkulierende digitale Bild, das im Kontext gesellschaftlichen Wandels (unvorhersehbar) zwischen der Repräsentation und Produktion politischer Ereignisse oszilliert, dem alten Dilemma der historischen Avantgarde, die bekanntlich eine Lösung für das Problem suchte, die Welt nicht nur anders interpretieren, sondern verändern zu wollen, eine neue Wendung zu geben scheint.

Betreuer:

Prof. Dr. Marc Ries

www.christinewuermell.de

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